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Chinesische Parabel

Chinesische Parabel

 |  Pia Uhlig

Der folgende Text lädt uns ein, uns in das große Lebensgefüge hineinzugeben...

...das was uns das Leben zuträgt anzunehmen und nicht immer gleich zu wissen bei sich selbst UND/ODER bei anderen Menschen was der Inhalt bedeutet.

„Chinesische Parabel“

Ein alter Mann mit Namen Chunglang, das heißt „Meister Felsen“, besaß ein kleines Gut in den Bergen. Eines Tages begab es sich, dass er eins von seinen Pferden verlor. Da kamen die Nachbarn, um ihm zu diesem Unglück ihr Beileid zu bezeigen.
Der Alte aber fragte: “Woher wollt ihr wissen, dass das ein Unglück ist?“ Und siehe da: einige Tage darauf kam das Pferd wieder und brachte ein ganzes Rudel Wildpferde mit.

Wiederum erschienen die Nachbarn und wollten ihm zu diesem Glücksfall ihre Glückwünsche bringen.
Der Alte vom Berge aber versetzte: „Woher wollt ihr wissen, dass es ein Glücksfall ist?“
Seit nun so viele Pferde zur Verfügung standen, begann der Sohn des Alten eine Neigung zum Reiten zu fassen, und eines Tages brach er das Bein. Da kamen sie wieder, die Nachbarn, um ihr Beileid zum Ausdruck zu bringen. Und abermals sprach der Alte zu ihnen: „Woher wollt ihr wissen, dass dies ein Unglücksfall ist?“

Im Jahr darauf erschien die Kommission der „Langen Latten“ in den Bergen, um kräftige Männer für den Stiefeldienst des Kaisers und als Sänftenträger zu holen. Den Sohn des Alten, der noch immer seinen Beinschaden hatte, nahmen sie nicht.
Chunglang musste lächeln.

Von Hermann Hesse, Ausgabe „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, Seite 185

Pia Uhlig
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