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Die Geschichte von Szabo dem Schneider

Die Geschichte von Szabo dem Schneider

 |  Pia Uhlig

Die folgende Geschichte verdeutlicht das Lebensthema:

Vertrocknen und Verkrüppeln durch Einengung des Seelenlebens, der Kreativität, der Impulsivität des Lebens durch gesellschaftliche und persönliche Restriktionen. Den Schein wahren und sich dabei verrenken müssen. Dieses „Alles ist gut“...dabei passt die Hauthülle hinten und vorn nicht mehr!

Die Geschichte von Szabo dem Schneider

Ein Mann kam zu Szabo dem Schneider und probierte seinen neuen Anzug an. Als er sich vor den Spiegel stellte, fiel ihm auf, dass der Saum der Weste an einer Seite ein bisschen schief war. „Oh“, sagte der Schneider, „das soll uns gar nicht weiter kümmern. Hier, sie ziehen das kürzere Ende einfach mit der linken Hand nach unten, dann sieht niemand den Unterschied.“

Während der Kunde die Weste nach unten hielt, fiel ihm auf, dass das Revers der Jacke sich hochrollte, anstatt flach zu liegen. „Oh, das?“ rief der Schneider. „Das ist nicht der Rede wert. Sie neigen ihren Kopf ein wenig zur Seite und drücken den Kragen mit ihrem Kinn nach unten. So....ja. Wunderbar!“
Der Kunde tat wie ihm geheißen, aber dann merkte er, dass der Schritt der Hose ein bisschen knapp und der Hosenbund zu hoch geschnitten war.
„Ach, das macht doch nichts“, meinte der Schneider. „Sie ziehen den Schritt einfach mit der rechten Hand ein wenig nach unten und dann ist alles in bester Ordnung.“
Der Mann stimmte zu und kaufte den Anzug.
Am nächsten Tag humpelte der Mann in seinem neuen Anzug durch den Stadtpark: Kinn schräg auf dem Revers, die linke Hand an der Weste zerrend, die rechte am Schritt der Hose; bei seinem Anblick hielten zwei alte Männer in ihrem Schachspiel inne und schauten sich an, wie merkwürdig er sich fortbewegte.
„Oh mein Gott“, murmelte der eine. „Schau dir den armen Krüppel an....“
Der zweite starrte dem Humpelnden sinnend nach und sagte: „Ja, dass ein Mensch so verwachsen ist, kann einem leidtun. Ich frage mich nur, wo er den schicken Anzug herhat.“

Aus „Die Wolfsfrau“ von Clarissa Pinkola-Estes , Seite333

Pia Uhlig
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